Das International Press Institut (IPI), ein globales Netzwerk an Redakteuren, Medienvertretern und führenden Journalisten für Pressefreiheit, forderte heute die türkischen Behörden auf, alle Anklagen gegen sechs Wirtschaftsjournalisten und Kolumnisten fallen zu lassen, die wegen ihrer Berichterstattung über den plötzlichen Kursrückgang der Landeswährung im Sommer 2018 strafrechtlich verfolgt werden.
Die Türkische Lira begann das Jahr 2018 mit einem Kurs von 1 USD = 3,87 TRY. Im August fiel der Kurs jedoch aufgrund der politischen und wirtschaftlichen Instabilität auf 1 USD = 7 TRY.
Sechs Journalisten verschiedener Nachrichtenagenturen – die Bloomberg-Reporter Kerim Karakaya und Fercan Yalınkılıç, der Wirtschaftswissenschaftler und Moderator von HALK TV Mustafa Sönmez, TELE1-Chefredakteur Merdan Yanardağ und dessen Moderator Sedef Kabaş sowie der Kolumnist des SolHaber-Nachrichtenportals Orhan Aydın -, die über den plötzlichen Kurseinbruch berichteten, wurden später beschuldigt, die finanzielle Stabilität der Türkei nach dem Kapitalmarktgesetz zu untergraben. Ihnen drohen bis zu fünf Jahre Gefängnis.
Die Anklage stützt sich auf eine Beschwerde, die im Juni 2019 von der türkischen Bankenregulierungs- und -aufsichtsbehörde (BDDK) eingereicht wurde.
Die Bloomberg-Journalisten Karakaya und Yalınkılıç werden wegen eines am 10. August 2018 veröffentlichten Artikels strafrechtlich verfolgt, in dem über die Auswirkungen des plötzlichen Wertverlusts der türkischen Lira berichtet wird und wie die türkischen Banken darauf reagieren. Die anderen vier Journalisten und Kolumnisten – Sönmez, Yanardağ, Kabaş und Aydın – sind im Zusammenhang mit ihren Reaktionen und Kommentaren in sozialen Medien und Kolumnen zum Währungsschock angeklagt.
„Das scheint ein politisch motivierter Fall zu sein, der darauf abzielt, Journalisten zu bestrafen, die über den Wertverlust der türkischen Lira berichteten, ein Thema, das die türkische Regierung lieber nicht diskutieren möchte, das aber offensichtlich von öffentlichem Interesse ist“, sagte der stellvertretende Direktor IPIs, Scott Griffen. „Es erinnert daran, dass Journalisten, die über Themen, die im Widerspruch zur offiziellen Linie der Türkei stehen, berichten, eine Gefängnisstrafe riskieren.
„Wir verlangen, dass alle Anklagepunkte gegen die sechs Angeklagten, die für angesehene Medien arbeiten und einfach nur ihre Arbeit getan haben, unverzüglich fallen gelassen werden“.
Der Prozess fand statt, nachdem sich Präsident Erdoğan im Rahmen einer Rede anlässlich einer Wahlkundgebung im März 2019 öffentlich an diejenigen gewandt hatte, die über die „Wirtschaftskrise“ berichtet oder sich dazu geäußert hatten. Er sagte, dass „die, die versuchen, den Wert ausländischer Währung zu fluktuieren, einen hohen Preis für diese provokativen Aktionen zahlen werden“, und stellte fest, dass der BDDK bereits einige rechtliche Initiativen in dieser Angelegenheit ergriffen habe.
Die Staatsanwaltschaft reichte schließlich eine Anklage gegen 38 Angeklagte ein, darunter die sechs Journalisten, die am 14. Juni 2019 vom Istanbuler 3. Strafgericht erster Instanz angenommen wurde. Die genaue Anklage lautet nach dem Kapitalmarktgesetz Nr. 107/2 , dass sie versucht haben, „die wirtschaftliche Stabilität der Türkei zu untergraben, indem sie Fehlinformationen, falsche und fake Nachrichten verbreiten, Nachrichten, Berichte und Kommentare veröffentlichen, um die Entscheidungen von Investoren zu beeinflussen und finanziell davon zu profitieren“.
Während der ersten Anhörung am 20. September 2019 erklärte der Bloomberg-Journalist Kerim Karakaya, der Prozess sei eine Tragikomödie. Er betonte, dass sie ihre Arbeit als Journalisten getan hätten und dass sie die Pflicht hätten, die Öffentlichkeit zu informieren.
Dieser Prozess ist eines von vielen Beispielen für den anhaltenden Trend, Journalisten zum Schweigen zu bringen, die über sensible Themen in der Türkei berichten, darunter auch wirtschaftliche Angelegenheiten.
Wie viele andere staatliche Institutionen der Türkei wird der BDDK als von der Regierung instrumentalisiert betrachtet, um gegen die Presse- und Redefreiheit im Land vorzugehen. Der ehemalige Moderator von Fox Tv, Fatih Portakal, der derzeit wegen Verstoßes gegen das Bankengesetz vor Gericht steht, ist ein weiteres Beispiel für Journalisten, die im Visier des BDDK stehen. Der BDDK reichte eine Beschwerde über Portakals Kommentar in den sozialen Medien zu einer von der Regierung initiierten nationalen Spendenkampagne zur Bekämpfung der finanziellen Schwierigkeiten während der COVID-19-Pandemie ein. Es wird davon ausgegangen, dass der BDDK zusammen mit dem Hohen Rundfunk- und Fernsehrat (RTÜK), der Agentur für Pressewerbung (BİK) und der Direktion für Informationstechnologien und Kommunikation (BTK) eine wichtige Rolle bei der Vereinnahmung öffentlicher (und nominell unabhängiger) Institutionen durch den Staat spielt, um die Meinungsfreiheit zu untergraben.