Ein türkisches Gericht verurteilte am 9. September fünf Journalisten zu insgesamt 22 Jahren Gefängnis, weil sie angeblich den Namen eines nationalen Geheimdienstmitarbeiters „enthüllt“ hatten, dessen Identität bereits im Parlament bekannt gegeben worden war.

Insgesamt sieben Journalisten verschiedener kritischer Medien wurden angeklagt, nachdem sie über die Beerdigung eines türkischen Geheimdienstmitarbeiters berichtet hatten, der im Februar in Libyen verstorben war. Fünf wurden für schuldig befunden. Drei der verurteilten Journalisten, die sich seit März in Untersuchungshaft befanden, wurden jedoch bis zur Berufung freigelassen.

„Dieser Prozess hat erneut den politisch getriebenen Charakter der türkischen Strafverfolgung von Journalisten offenbart“, sagte der stellvertretende Direktor IPIs, Scott Griffen. „Obwohl wir erleichtert sind, dass die drei Journalisten, die seit März inhaftiert waren, nun frei sind, müssen diese grundlosen Verurteilungen in der Berufung aufgehoben werden. Journalisten wegen der „Enthüllung‘ von Fakten anzuklagen, die bereits öffentlich bekannt waren, ist absurd. Es ist klar, dass es in diesem Fall darum geht, unerwünschte Berichterstattung über die heikle Frage der Beteiligung der Türkei in Libyen zu unterdrücken“.

Die Journalisten Barış Terkoğlu, Hülya Kılınç und der kritische Odatv-Nachrichtenredakteur beziehungsweise Odatv-Chefredakteur und Manisa-Korrespondent Barış Pehlivan wurden am 4. und 6. März verhaftet. Die Journalisten Ferhat Çelik und Aydın Keser, der pro-kurdische Chefredakteur und Nachrichtenredakteur der Zeitung Yaşam, Yeni Yaşam und Murat Ağırel, nationalistischer Kolumnist der Zeitung Yeniçağ, wurden in den folgenden zwei Tagen verhaftet. Zunächst wurden sie freigelassen, aber nach einer Berufung durch den Staatsanwalt wurden sie erneut verhaftet. Die Akte des im Ausland lebenden BirGüner Zeitungsjournalisten Erk Acarer wurde während der Anklageerhebung mit der Fallakte zusammengelegt. Terkoğlu, Keser und Çelik wurden am 24. Juni 2020 während der ersten Verhandlung des Prozesses aus der Haft entlassen.

Die gestrige Anhörung wurde vom Journalisten und Mitglied des Türkischen Nationalkomitee IPIs İpek Yezdani im Çağlayan Gerichtsgebäude verfolgt. Die drei Journalisten Pehlivan, Kılınç und Ağırel befanden sich sechs Monate in Untersuchungshaft.

Journalisten und Menschenrechtsorganisationen, die die Anhörung mitverfolgten, hielten vor der Anhörung vor dem Gerichtsgebäude eine Pressekonferenz ab. Terkoğlu, einer der Angeklagten in diesem Fall, gab eine Stellungnahme ab und sagte „Wir wissen, dass diejenigen, die die Drehbücher verfassen, um Journalisten ins Gefängnis zu stecken, Verbrechen aus öffentlichen Interviews produzieren, die sie mit unwirklichen Verweisen beschönigen, selbst nicht an ihre eigenen Anklagen glauben“.

Mehrere Abgeordnete der Opposition verfolgten die Anhörung ebenfalls, um sich solidarisch mit den Journalisten zu zeigen. Während der ganztägigen Anhörung gaben die Journalisten ihre Schlusserklärungen ab und beantragten einen Freispruch.

Pehlivan erklärte, dass „sie kein Verbrechen begangen haben, als das Bild, das Menschen zeigte, die den Sarg trugen, im Fernsehen ausgestrahlt wurde“, berichtete Yezdani aus dem Gerichtssaal.

Kılınç wies in ihrer Aussage darauf hin, dass sie nicht wusste, dass die fotografierten Agenten Mitglieder des türkischen Geheimdienstes waren und dass es keine Möglichkeit gab, dass sie diese Information hätte wissen können.

Nach 19.00 Uhr Istanbuler Zeit verkündete das Gericht sein Urteil. Fünf Journalisten – Pehlivan, Kılınç, Ağırel, Keser und Çelik – wurden wegen Verstoßes gegen verschiedene Artikel des Nationalen Geheimdienstgesetzes verurteilt. Das Gericht entließ Pehlivan, Kılınç und Ağırel, mit dem Recht, sich an das Berufungsgericht zu wenden. Terkoğlu wurde von allen Vorwürfen freigesprochen. Die Akte von Erk Acarer wurde für ein späteres Verfahren beiseitegelegt. Alle Angeklagten wurden von dem Vorwurf der „Offenlegung vertraulicher Informationen bezüglich der Sicherheit und der inneren und äußeren Interessen des Staates“ freigesprochen.

Strafen:

Barış Pehlivan und Hülya Kılınç – jeweils 3 Jahre und 9 Monate  wegen „Enthüllung von Informationen über die Tätigkeit des Nationalen Geheimdienstes“.

Aydın Keser, Ferhat Çelik und Murat Ağırel – jeweils  4 Jahre, 8 Monate und 7 Tage wegen Missachtung des Nationalen Geheimdienstgesetzes Art. 27/3, der die „Veröffentlichung von Informationen oder Dokumenten im Zusammenhang mit MİT Aktivitäten ohne Genehmigung über die Presse“ regelt.