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Vor genau 15 Jahren kam in der Türkei das erste Mal der Begriff „sahipsiz gazete“ auf, zu Deutsch „eigentümerlose Zeitung“. Damals wurden diese Zeitungen eher belächelt. Die Leute waren der Meinung, eine Zeitung ohne einen Eigentümer wäre sicherlich keine gute Zeitung.
In letzter Zeit war das öffentliche Interesse an einer unabhängigen und „eigentümerlosen“ Tageszeitung jedoch deutlich gestiegen. Dies liegt nicht nur an den Entwicklungen in der Türkei seit 2013, sondern auch an dem Verkauf der Doğan Media Group an einige Geschäftsmänner, die Erdoğan nahe stehen. Es scheint fast so, als hätte die Tageszeitung BirGün, die den Begriff vor langer Zeit eingeführt hat, all die Jahre auf diesen Moment gewartet.
Der Verkauf der Doğan Media Group und der Firma Yaysat, dem größten Lieferanten von Printmedien in der Türkei, war die letzten Wochen ein heiß diskutiertes Thema. Beide gehörten zuvor Aydın Doğan und beide wurden jetzt an das (pro-Erdoğan)Konglomerat Demirören verkauft, welches bereits Eigentümer der Tageszeitungen Vatan und Milliyet ist. Sobald der Verkauf in trockenen Tüchern ist, werden 30 Prozent der türkischen Medien in der Hand von Demirören sein, gleichzeitig werden sich 90 Prozent der türkischen Medien im Besitz von regierungsnahen Organisationen befinden.
Die Methode, mit der es die pro-Erdoğan Konglomerate schaffen, sich große Medienunternehmen anzueignen, wird „Pool“-System genannt. Laut Informationen aus Tonaufnahmen zahlt eine Gruppe regierungsnaher Unternehmer eine bestimmte Summe Geld auf ein gemeinsames Konto ein. Aus eben diesem Konto bedient sich dann einer der Unternehmer, um Fernseh- oder Zeitungsunternehmen aufzukaufen. So verteilt sich die (finanzielle Belastung) auf mehrere Personen. Auch die Doğan Media Group wurde auf diese Weise mit in den Pool gezogen. Damit soll wohl sichergestellt werden, dass die amtierende Regierung im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen 2019 seitens der Medien so wenig Gegenwind wie möglich bekommt.
Die Spannungen zwischen der Doğan Media Group und der AKP in den letzten Jahren hatten das Medienunternehmen zu einem Gefangenen der amtierenden Regierungspartei gemacht. Offensichtlich war dies der Regierung nicht genug, und so strebten sie jetzt nach einer absoluten Machtübernahme des Konzerns.
Im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen 2019 kann jeder Hoffnungsschimmer auf politischer Ebene, jede Art von Allianz der politischen Rechten, sowie jede Entwicklung der Linken, die für Schlagzeilen sorgen könnte, kinderleicht von den Medien unterbunden werden.
Die umfassende Hegemoniestellung, welche die türkische Regierung in der Justiz, dem bürokratischen Verwaltungssystem und bei den staatlichen Sicherheitskräften bereits inne hatte, scheint nach der Aneignung der Massenmedien jetzt absolut.
Es war immer klar, dass sich in diesem Fall alle Blicke auf die unabhängigen Zeitungen BirGün, Evrensel und Cumhuriyet richten würden. Man sollte sich keine Illusionen machen und glauben, dass diese den enormen Einfluss der von Doğan Media ausgeht, wett machen könnten. Trotzdem ist klar, dass diese unabhängigen Printmedien in naher Zukunft die alleinige Stimme von über 50% der Bevölkerung sein werden.
Natürlich gibt es wirtschaftliche und rechtliche Schwierigkeiten, wenn man in der Türkei eine unabhängige Zeitung betreiben will. Lassen Sie mich also mit diesen beginnen.
Herausforderungen für die unabhängigen Medien
Die Kosten für Technologie, sowie Monopole beim Zeitungsdruck und dem Vertrieb der Medien sind ernstzunehmende Probleme für unabhängige Medien. Die Mietkosten für Satelliten, der Import von Zeitungspapier und die hohen Provisionen der Vertreiber verlangen den unabhängigen Medienunternehmen zu viel ab. Zu diesen Faktoren kommen zusätzlich Gerichtsverfahren, Werbeverbote sowie die Geldstrafen verhängt von Richtern, die nicht mehr unparteiisch entscheiden.
Aus Sicht der Printmedien ist der finanzielle Aufwand für Zeitungspapier und Zeitungsvertrieb sehr hoch. Das Papier wird von außerhalb importiert. Der Vertrieb ist in der Hand von 2 Unternehmen, Yaysat (gehört zur Doğan Media Group) und Turkuaz. Turkuaz wiederum gehört zu einer Gesellschaft namens Sabah Group, die auch Erdoğan nahe steht. Nach dem Verkauf der Doğan Media Group ist das Monopol im Vertrieb jetzt vollständig. Neben den bereits etablierten, hohen Provisionskosten für den Vertrieb stellt sich nun aber zusätzlich die Frage, ob diese beiden Unternehmen denn mit dem Vertrieb von unabhängigen Zeitungen überhaupt weitermachen werden.
Ein weiteres Problem präsentiert sich, wenn unabhängige Zeitungen versuchen, Werbepartner zu finden. Private Unternehmen hüten sich davor, Werbung in den unabhängigen Medien zu platzieren, da diese im Allgemeinen als regierungskritisch und oppositionell gelten. Zusätzlich beschränkt die Regierung willkürlich unseren Anteil an Werbung von staatlichen Unternehmen – welche eigentlich gleichmäßig verteilt werden sollte – durch die Generaldirektion für Pressewerbung. Deshalb sind wir fast gänzlich auf Online-Werbung angewiesen. Wir verdienen Geld durch die AdSense advertisements, auch Google adverts genannt, denn diese berechnen sich aus der Klickrate und unseren Inhalten.
Letztlich bleibt da noch das Problem der Strafen, die über die Zeitungen verhängt werden. Unsere Zeitung BirGün zum Beispiel zahlt monatlich zwischen 15.000 und 20.000 türkische Lira (ca. 3.000 bis 4.000 Euro) an Geldstrafen. Derzeit gibt es fast 100 Anklagen gegen BirGün. In 10 Fällen verlangt die Anklage sogar eine Freiheitsstrafe, wobei diese normalerweise in eine Geldstrafe umgewandelt wird. Begründung für derartige Anklagen ist meistens der Vorwurf, den Präsidenten oder andere hohe Amtsträger beleidigt zu haben. Sobald wir einen Artikel über Korruption veröffentlichen, wird normalerweise auch ein Verfahren wegen übler Nachrede eröffnet.
Wie es jetzt weitergeht
Wollen die unabhängigen Zeitungen in Zukunft bestehen, so müssen sie ein breiteres Publikum erreichen, eine stärkere Präsenz im Internet aufbauen oder zumindest verstärkt auf Online-Inhalte setzen, sowie den Umfang und die Auswahl an Nachrichten erweitern. Dafür wäre es aber zunächst notwendig, eine stärkere ökonomische Basis aufzubauen. Um dies zu erreichen setzen sie jetzt auf ihre Leserschaft. In einer Zeit, in der das Interesse an Printmedien stetig abnimmt und die Leser ihre Information zunehmend aus dem Internet beziehen, brauchen die unabhängigen Zeitungen die Unterstützung der Bevölkerung. Wenn diese unabhängigen Organisationen, welche aktuell rote Zahlen schreiben, nun aber anfangen sich an Geldgeber aus dem Ausland zu wenden, bzw. zukünftig versuchen ihre Ressourcen mithilfe kommerzieller Praktiken zu beziehen, so ist anzunehmen, dass dies die Unabhängigkeit ihrer Berichterstattung gefährdet.
Der Ausweg für unabhängige Zeitungen ist deshalb, die Leser zu Abonnements anzuregen. Ein Medienunternehmen mit 10.000 bis 20.000 Abonnenten im Rücken besitzt die Mittel um sich auf den Beinen zu halten und in die notwendigen Technologien zu investieren. BirGün kämpft seit drei Jahren um diese Stellung. Die unabhängige Zeitung Evrensel arbeitet nun schon seit einem Jahr daran, ihren Abo-Service aufzubauen. Neben einer PDF-Ausgabe der Zeitung erhalten die Abonnenten auch Angebote für Geschenke oder andere Vorteile.
Auch Doğan Media besitzt eine Nachrichtenagentur. Und ich kann berichten, dass diese in der Vergangenheit durchaus objektive Nachrichtenbeitrage verfasst hat. Nach dem Verkauf an das regierungsnahe Konglomerat Demirören ist jetzt eine regierungsfreundliche Berichterstattung von der Nachrichtenagentur zu erwarten. Dies hat zu Verhandlungen über die zukünftige Positionierung der unabhängigen Zeitungen geführt. Zudem denkt man über die Gründung einer eigenen Nachrichtenagentur und eines Fernsehsenders nach. Die Führungskräfte von BirGün, Evrensel und Cumhriyet sind in Kontakt, und der Gedanke einer bürgernahen Nachrichtenagentur steht bei allen unabhängigen Zeitungen derzeit hoch im Kurs.
Von Anfang an benutzte BirGün den Slogan „Eigentümerlose Zeitung“. Heutzutage weckt der Slogan ein ganz neues Interesse. Um die Regierung zufrieden zu stellen, sind die türkischen Werbeträger, sowie Werbedienstleister kopfüber in den Pool gesprungen. Nun liegt es in unserer Verantwortung sicher zu stellen, dass die übriggebliebenen Zeitungen nicht auch noch in den Pool fallen.
Barış İnce ist Chefredakteur der unabhängigen türkischen Zeitung BirGün.
Die hier wiedergegebenen Meinungen stellen die Sicht des Autors dar und repräsentieren nicht zwangsläufig die Ansichten des International Press Institute (IPI) dar.
Aus dem Englischen übersetzt von Benedikt Stuck.
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